15 Jahre
EML European Media Laboratory GmbH
Die Idee: Think Beyond The Limits!

 
Als SAP-Mitbegründer Klaus Tschira vor fünfzehn Jahren die EML European Media Laboratory GmbH ins Leben rief, wollte er damit der IT-Forschung einen neuen Impuls geben. „In Deutschland haben wir viele brillante Ideen, aber die wirtschaftliche Verwertung erfolgt oft durch andere“, so Tschira. Deshalb sollte das EML seinen Erfolg nicht primär an der Zahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel messen lassen, sondern an der Umsetzung neuer Technologien in Produkte. Die Geschichte des EML in den vergangenen fünfzehn Jahren spiegelt auch den Fortschritt der computerbasierten Forschung und  Entwicklung wider. Vieles, was damals wie Zukunftsmusik klang, ist heute selbstverständlich – wie Navigations- und Informationssysteme für Fußgänger. Andere Bereiche hingegen sind erst jetzt reif für den Massenmarkt geworden – wie die Sprachtechnologie, der heutige Schwerpunkt des EML.

1997-2003: Aufbau, Ausgründungen und Aufteilung

Die Gründungsfeier des EML am 11. Juli 1997 war zugleich die Einweihung der Villa Bosch als Sitz der Klaus Tschira Stiftung. Mit dabei waren der damalige EU-Kommissar Martin Bangemann, MIT Media Lab-Direktor Nicholas Negroponte sowie chinesische Künstler, die den geladenen Gästen Szenen aus der Peking-Oper darboten. Klaus Tschira hatte dem frisch gegründeten Institut ein Ziel vorgegeben: technische Systeme zu entwickeln, die der Nutzer als Hilfe und nicht als Last empfindet.
 

 
Im Januar 1998 konnte mit Andreas Reuter ein erfahrener Computerexperte als Geschäftsführer und wissenschaftlicher  Direktor gewonnen werden. Der Informatikprofessor war zuvor unter anderem Gründungsdirektor des „Instituts für „Parallele und Verteilte Höchstleistungsrechner“ der Universität Stuttgart.  Andreas Reuter steuerte auch das Motto des EML bei: „Think Beyond the Limits! – Denke über die Grenzen hinaus!“ Es fasst das grafisches Signet der KTS und des EML in Worte, das eine Denksportaufgabe enthält: Verbinde neun Punkte mit vier Linien, ohne abzusetzen. Nur wer die Linien über die Grenzen des Quadrats hinauszieht, in dem neun Punkte angeordnet sind, kann die Aufgabe lösen.

Über alle Grenzen hinweg dachten die Teilnehmer des zweiwöchigen Workshops zum Thema „Top-Level-Ontologies“, der im gleichen Jahr 1998 auf Initiative von Klaus Tschira stattfand und an dem prominente Wissenschaftler teilnahmen,  unter anderem der US-amerikanische Informatiker und Turing-Preisträger John McCarthy oder der britische Philosoph Richard Stanley Peters.

Zeitgleich startete das erste EML-Projekt „Deep Map“, in dessen Zentrum das Szenario eines elektronischen tragbaren Stadtführers stand. Aus dieser visionären Geoinformatik-Forschung heraus sollte später durch Ausgründung ein Unternehmen entstehen, das heute die Handynavigation für Städte und Großveranstaltungen entwickelt.

 
Digitale Stadterkundung anno 1999: Der erste Prototyp von "Deep Map".

 
Im Juli 1999 fand in der Villa Bosch eine spektakuläre internationale Videokonferenz statt. Im Rahmen des Projekts „C-Star“ mit Partnern aus Japan, Italien und den USA wurde  ein computerbasiertes Dolmetschersystem für sechs Sprachen zum Einsatz auf tragbaren elektronischen Touristenführern demonstriert. Als Teil der Veranstaltung präsentierte das EML einen ersten Prototypen seines Projekts „Deep Map“: Ein Tourist bewegte sich mit Hilfe von Computertechnik durch Heidelberg.  Er musste damals noch einen Kleincomputer am Gürtel, ein Laptop im Rucksack und  eine Kamera am Kopf tragen. Die Demonstration fand große Medienresonanz und trug dazu bei, den Bekanntheitsgrad des EML spürbar zu erhöhen.

Das EML war danach an zahlreichen Projekten der Europäischen Union und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligt. Aus einem dieser Projekte heraus entstand die digitale Rekonstruktion des historischen „Hortus Palatinus“. Kurfürst Friedrich V., der „Winterkönig“, hatte Anfang des 17. Jahrhunderts den Bau einer riesigen, terrassenartigen Gartenanlage direkt am Heidelberger Schloss in Auftrag gegeben. Sie war nie vollendet worden.

Die EML-Mitarbeiter glichen die Geländedaten des heutigen Schlossgartens, eine Fläche von rund 50.000 m2, mit den Originalplänen des Architekten Salomon de Caus und anderen verfügbaren Quellen wie Gemälden und Stichen ab. Am Computer erstellten sie ein dreidimensionales Modell, durch das sich der "Besucher" des Gartens virtuell bewegen konnte. Für diese Arbeiten wurden EML-Wissenschaftler  mit dem Forschungs- und Innovationspreis der Stiftung Metropolregion Rhein-Neckar ausgezeichnet. Einer der Preisträger, Dr. Rainer Malaka, wurde bald darauf ordentlicher Professor für Digitale Medien an der Universität Bremen.

Von Beginn an zeigte sich das EML auch außergewöhnlichen Projektideen gegenüber offen und zeigte Mut zum Risiko: Als im Frühjahr 1998 die Physiker Dr. Steffen Noehte und Matthias Gerspach an der Universität Mannheim entdeckten, dass sich tesa-Film als Datenspeicher eignet, dachten viele an einen Scherz. Die beiden Forscher konnten ihre Arbeit am EML fortsetzen - mit einem zehnköpfigen Team. Drei Jahre später sorgten sie für die erste erfolgreiche EML-Ausgründung „tesa scribos“ und ernteten so die Früchte eines außergewöhnlichen Projekts. „tesa scribos“ beschäftigt heute am Standort Heidelberg rund fünfzig Mitarbeiter, am Standort Hamburg kommen noch einmal dreißig hinzu.

Eine weitere Ausgründung des Instituts wagten 2003 die beiden Geoinformatiker Dr. Richard Leiner und Rüdiger Wolff, die seither mit „Leiner & Wolff“ neuartige Software für den Hochwasserschutz entwickeln. Auch sie erhielten für Ihre Innovationsleistung 2006 den Forschungs- und Innovationspreises der Stiftung Metropolregion Rhein-Neckar. 

Manfred Lautenschläger (rechts) überreichte Dr. Richard Leiner (links) und Rüdiger Wolff den Forschungs- und Innovationspreis 2006.
Neben der Geoinformatik lag der zweite Schwerpunkt in den theoretischen Lebenswissenschaften. Biologen, Biochemiker und Informatiker erforschten die komplexen Vorgänge in Molekülen und Zellen am Rechner. Wegen des stärker grundlagenorientierten Charakters dieser Projekte wurden die betreffenden Gruppen im September 2003 in  eine gemeinnützige Gesellschaft, die EML Research gGmbH, überführt, heute eine hundertprozentige Tochter der Klaus Tschira Stiftung. Daraus ging schließlich 2010 das HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien) hervor, in dem heute rund hundert Forscher aus 15 Nationen arbeiten.

2003-2007: „Den ganzen Weg gehen“ (Klaus Tschira)

Die EML GmbH arbeitete weiterhin an ortsbasierten Systemen und verfolgte das ursprüngliche „Deep Map“-Szenario weiter. Für „Smartkom“ und „Smartweb“, zwei Großprojekte des BMBF, entwickelte das EML wichtige Komponenten.

Speed-Dating für Innvoationsideen: Das Heidelberger Innovationsforum.

Im Jahr 2005 etablierte das EML gemeinsam mit der Innovationsagentur MFG Baden-Württemberg eine Plattform für den Technologietransfer im IT-Sektor, das „Heidelberger Innovationsforum.“ In nur acht Minuten präsentieren dort Forscher und Jungunternehmer ihre Geschäftsideen und Technologien. . „Unser Ziel war es, Forschung und Wirtschaft bereits in einer möglichst frühen Phase zu vernetzen“, erinnert sich EML-Direktor Prof. Andreas Reuter. Mittlerweile fanden elf Veranstaltungen statt, über 370 Erfinder und Entwickler stellten ihre Ideen vor. Mehr als die Hälfte von ihnen konnte vielversprechende Kontakte zu Investoren und Entscheidern aus der Industrie knüpfen, acht neue Firmen gingen daraus hervor.

Ebenfalls im Jahr 2005 war Andreas Reuter federführend für die Gründung und den Aufbau der „D-Grid“-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung tätig. Das Ziel: eine nachhaltige Rechner-Infrastruktur für Forschung und Entwicklung zu schaffen, in der dem Nutzer große Rechenleistung und Speicherplatz über das Internet zur Verfügung gestellt wird. D-Grid initiierte mehr als zwanzig Projekte mit über hundert beteiligten Forschungseinrichtungen, von  der Astrophysik bis zu den Geisteswissenschaften. Daraus ging die „D-Grid Entwicklungs- und Betriebsgesellschaft mbH“ hervor, eine hundertprozentige Tochter des EML mit Sitz in Dortmund (vier Mitarbeiter).

Bei aller Schützenhilfe für andere kluge Köpfe blieb die EML GmbH beim Auftrag des Stifters Klaus Tschira: „Das EML soll die Wissenschaftler und Ingenieure ermutigen, nicht beim erfolgreichen „proof of concept“ aufzuhören, sondern den ganzen Weg bis hin zum Produkt gehen.“ Diese Strecke legten EML-Mitarbeiter zurück, als sie um die Jahreswende 2006/2007 das erste flächendeckende mobile Städteportal in Heidelberg installierten und kurz darauf das Unternehmen „Heidelberg Mobil International GmbH“ gründeten. Diese Ausgründung des EML entwickelt seither mobile Portale für Messen wie die CeBIT und für Städte wie Hamburg, München oder Dresden. „Heidelberg Mobil International“ hat mittlerweile rund 60 Mitarbeiter.

2007-2012: Technik zur Sprache bringen – das EML heute

Seit 2007 liegt der Schwerpunkt der EML GmbH auf Sprachtechnologie. Mit Dr. Siegfried Kunzmann, zuvor Leiter der europäischen Sprachtechnologie-Forschung bei IBM, wurde ein Pionier der Sprachverarbeitung gewonnen. Kunzmann hatte einst das IBM-Diktiersystem „ViaVoice“ mitentwickelt und auf den Markt gebracht. Das Team besteht aus erfahrenen Sprachtechnologen und Informatikern. Sie  entwickeln Systeme, die gesprochene Sprache automatisch in Text umwandeln – die Basis für eine Reihe von Produkten und Lösungen für Call-Center, Telefonanbieter, Fernsehsender oder Gebäudesteuerung.

So wird beispielsweise aus einer Sprachnachricht eine Textnachricht. Sprechen statt SMS tippen, kein lästiges Abhören aller Anrufe: Die automatische Transkription (Verschriftung) macht es möglich. Automatische Transkription hilft auch beim Untertiteln von Fernsehsendungen und bei der Archivierung von Rundfunkinterviews.

Ein internationales Partnernetzwerk sorgt dafür, dass diese Technologie auch in anderen Sprachen eingesetzt wird. Ein Beispiel: Der italienische Sprachtechnologie-Anbieter Cedat 85 erstellt Systeme für die automatische Transkription von Fernsehsendungen, Parlamentsdebatten und Gerichtsverhandlungen. In enger Kooperation mit dem EML konnte Cedat 85 ein neues Transkriptionsmodell für Italienisch entwickeln und es in die bestehende technische Umgebung integrieren.

Seit 2008 präsentiert das EML sein Produktangebot auf Messen wie der CeBIT in Hannover und der CallCenter World in Berlin oder auf internationalen Sprachtechnologie-Konferenzen wie der LREC.  Unter dem Motto „Experience IT: Intuitive Technology“ wird gezeigt, wie man Technik im Wortsinn „zur Sprache bringt.“ Erst kürzlich erhielt das EML von einem europäischen Expertengremium das „META Seal of Recognition“, eine Auszeichnung für hervorragende Güte von Software, Produkten und Dienstleistungen für die europäische multilinguale Informationsgesellschaft.

Aber auch in der Region trägt die Expertise des EML Früchte: Die Heidelberger Sprachtechnologen arbeiten mit dem Meckesheimer Unternehmen Mobilcenter Zawatzky an einer Sprachsteuerung für barrierefreies Autofahren -  ein Projekt, das vom Bundeswirtschaftsministerium im Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) gefördert wird. 

Bilanz: International aktiv, regional verbunden

Das EML selbst trotz seiner internationalen Ausrichtung dem Standort Heidelberg treu geblieben und 2010 in die „Villa Reiner“ auf dem Nachbargrundstück der Villa Bosch gezogen. Alle drei Ausgründungen haben ihren Sitz in der Metropolregion Rhein-Neckar, zwei davon direkt in Heidelberg. Auf diese Weise wurden in Heidelberg und Walldorf rund 120 hochqualifizierte neue Arbeitsplätze geschaffen.

Rückblickend lässt sich nach fünfzehn Jahren feststellen, dass das EML der Idee seines Gründers und Gesellschafters Klaus Tschira treu geblieben ist: Think beyond the Limits! – Denke über die Grenzen hinaus! – ist auch heute noch die Antriebsfeder für die EML-Mitarbeiter. Sie arbeiten an Technik, die der Mensch nicht als Last, sondern als Hilfe empfindet. Sie entwickeln neue Ideen wie den Anrufbeantworter der Zukunft, der Sprachnachrichten einfach als Text darstellt. Und sie arbeiten daran, dass Hörgeschädigte endlich Fernsehsendungen mit Untertitel empfangen und Körperbehinderte im Auto Zusatzfunktionen mit Sprache steuern können. 

Peter Saueressig, August 2012